Sanieren statt Abreißen: Eine lebenswerte Alternative für eine nachhaltige und zukunftsfähige Wohnungswirtschaft

Die deutsche Baulandschaft ist im Wandel. Angesichts knapper Flächen in urbanen Zentren und sich verändernder Nutzerbedürfnisse scheint der Abriss und anschließende Neubau oft die naheliegende Lösung, wenn Immobilien in ihrer bestehenden Form nicht mehr funktionieren. Doch dieser Ansatz steht zunehmend im Konflikt mit unseren Klimazielen und dem Gebot der Ressourcenschonung. Dieser Blogartikel beleuchtet, warum der Erhalt und die (serielle) Sanierung von Bestandsgebäuden für die Wohnungswirtschaft eine echte Alternative für eine nachhaltige Zukunft ist.

Das Dilemma der "Grauen Energie" und knapper Ressourcen

Abriss plus Neubau und die damit oft einhergehende Verkürzung der Gebäudelebensdauer haben einen hohen ökologischen Preis. Jedes abgerissene Gebäude bedeutet den unwiederbringlichen Verlust von "Grauer Energie"; jener Energie, die für Herstellung, Transport der Baustoffe und die Errichtung des Gebäudes selbst aufgewendet wurde und quasi im Bauwerk gespeichert ist. Ein vorzeitiger Abbruch vernichtet diese investierte Energie. Angesichts des wachsenden Mangels an Baumaterialien, der erheblichen CO₂-Emissionen des Bausektors und der ambitionierten Klimaziele der Bundesregierung, insbesondere der angestrebten Klimaneutralität des Gebäudebestands bis 2050, rückt dieser Aspekt immer stärker in den Fokus. Die Devise "Abriss und Neubau" steht somit oft in direktem Widerspruch zu nachhaltigem Handeln.

Gebäudeabbrüche in Deutschland: Ein genauerer Blick auf die Zahlen

Statistische Analysen zeigen zwar eine erfreuliche Entwicklung: Über den Betrachtungszeitraum von 2007 bis 2021 ist die Zahl der gesamten Gebäudeabgänge um 26,3 % gesunken, bei Wohngebäuden sogar um 35,6 %. Dennoch wurden im selben Zeitraum über 91.000 Wohngebäude abgebrochen. Besorgniserregend ist, dass ein signifikanter Teil dieser Gebäude (konkret 17,3 %) abgerissen wird, bevor sie ein Alter von maximal 42 Jahren erreicht haben

Jedes 6. Wohngebäude in Deutschland wird frühzeitig abgebrochen, wie die Studie zeigt. Die häufigste Ursache für den Abriss ist demnach dabei die Errichtung eines neuen Wohngebäudes an gleicher Stelle. Dies legt nahe, dass oft nicht die Bausubstanz an sich das Problem ist, sondern dass der Bestand den heutigen Nutzungsanforderungen nicht mehr entspricht oder dies zumindest so wahrgenommen wird. Die Hauptakteure bei diesen Entscheidungen sind private Haushalte und Unternehmen.

Warum wird abgerissen? Die vielschichtigen Ursachen
Bildquelle: Envato Elements

Die Entscheidung für einen Abriss ist selten monokausal.

  • Wirtschaftliche Faktoren: Hier spielen die Kosten für Abbruch und potenzielle Schadstoffentsorgung eine Rolle, ebenso wie die Investitionskosten für eine Sanierung. Insbesondere wenn der Gebäudezustand umfangreiche und kostspielige Maßnahmen erfordert, kann der Neubau attraktiver erscheinen.
  • Normative Hürden: Bestehende Normen und Standards, vorrangig im Bereich des Brandschutzes, wirken oft als Knockout-Kriterien, wenn ihre Erfüllung im Bestand bautechnisch oder monetär zu aufwändig wird.
  • Gesellschaftliche und kulturelle Aspekte: Der kulturelle Wert eines Gebäudes kann seinen Erhalt rechtfertigen. Gleichzeitig beeinflusst ein wachsendes Nachhaltigkeitsbewusstsein zunehmend die Entscheidungen von Bauherren. Dem entgegen steht jedoch oft eine vorherrschende Konsum- und Wegwerfmentalität.

Bisherige Forschung konzentrierte sich oft auf technische Aspekte. Die tatsächlichen Entscheidungsprozesse der Eigentümer als Hauptagierende beim Rückbau sind jedoch kaum untersucht. Es mangelt an einem ganzheitlichen Verständnis der komplexen Zusammenhänge, die Abrissentscheidungen prägen.

Der Weg nach vorn: Langlebigkeit, Flexibilität und ein neues Bewusstsein

Für eine nachhaltige Zukunft der Wohnungswirtschaft ist ein Umdenken unerlässlich. Langlebige Gebäude, die sich durch eine hohe Flexibilität der Struktur und eine nutzungsneutrale Gestaltung auszeichnen, sind ein Schlüssel, da sie spätere Anpassungen erleichtern. Ebenso wichtig ist ein gestärktes Bewusstsein für den Wert des Bestands; sowohl bei Entscheidungsträgern in der Wohnungswirtschaft und bei Planern als auch in der breiten Öffentlichkeit. Die Wertschätzung für das Vorhandene muss die "Alles-neu"-Mentalität ablösen. Das gemeinsame Ziel muss sein, den Lebenszyklus von Gebäuden zu verlängern.

Regulatorische Herausforderungen und der Ruf nach neuen Strategien

Ein zentraler Zielkonflikt besteht darin, dass die Anforderungen an Neubauten stetig steigen, diese im Bestand aber oft nur schwer oder unverhältnismäßig teuer umsetzbar sind. Dieser Widerspruch, gepaart mit zunehmendem Preisdruck, kann Entscheidungen zugunsten eines Abrisses beeinflussen, selbst wenn die Bausubstanz prinzipiell erhaltenswert wäre. Es offenbaren sich normative Lücken im Umgang mit Bestandsgebäuden, vornehmlich bei Nutzungswechseln. Aktuelle Vorschriften sind primär auf Neubauten ausgerichtet und bieten wenig Orientierung für kosteneffiziente Anpassungen im Bestand. Um diesen Zielkonflikt zu adressieren, bedarf es neuer Strategien, die den Erhalt und die flexible Nachnutzung von Bestandsgebäuden stärker fördern. Politische und normative Maßnahmen können hier eine entscheidende Rolle spielen, um eine nachhaltigere Bau- und Nutzungskultur zu etablieren.

Serielle Sanierung als schnelle, wirtschaftliche und nachhaltige Alternative zum Abriss und Neubau
Serielle Sanierung eines Wohngebäudes in Erlangen durch ecoworks – Vorher-Nachher-Vergleich

Die serielle Sanierung hat sich als eine überzeugende Alternative zum Abriss und Neubau etabliert, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen klima- und wohnungswirtschaftlichen Herausforderungen.

Serielle Sanierung beschleunigt Bauprozesse erheblich durch industrielle Vorfertigung von Bauelementen wie Fassaden- oder Dachmodulen und standardisierte, digital gestützte Abläufe, was die Bauzeit vor Ort signifikant verkürzt, die Beeinträchtigung für Bewohnende minimiert und Wetterabhängigkeiten reduziert. Wirtschaftliche Vorteile ergeben sich aus dem Erhalt der Bausubstanz, was erhebliche Kosten für Material und die sonst verlorene "Graue Energie" spart. Skaleneffekte bei größeren Projekten, kürzere Bau- und Finanzierungszeiten sowie geringere Entsorgungskosten tragen weiter zur Kosteneffizienz bei. Erreichte hohe Energiestandards senken zudem die Betriebskosten drastisch und steigern den Immobilienwert, während die vorhandene Infrastruktur genutzt wird. Die serielle Sanierung lässt sich zudem auch mit Grundrissänderungen und Dachgeschossausbauten/-aufstockungen kombinieren, um die Potenziale im Bestand optimal zu nutzen.

Der größte Nachhaltigkeitsvorteil ist aber der Erhalt der im Bestandsgebäude gebundenen "Grauen Energie" und die massive Reduktion des Bedarfs an neuen, CO₂-intensiven Primärrohstoffen. Dies minimiert Bauschutt und senkt die CO₂-Emissionen sowohl bei der Herstellung als auch im energieeffizienten Betrieb erheblich, oft bis zur Klimaneutralität durch exzellente Dämmung, effiziente Haustechnik und erneuerbare Energien. Zudem werden Flächen geschont und bestehende soziale Strukturen erhalten. Zusammenfassend ermöglicht die serielle Sanierung durch industrielle Vorfertigung, digitale Planung und Fokus auf Energieeffizienz, den Gebäudebestand schneller, wirtschaftlicher und nachhaltiger zu modernisieren als Abriss und Neubau, und stellt so eine überlegene Alternative dar, um den riesigen Bestand an sanierungsbedürftigen Gebäuden mit deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck fit für die Zukunft zu machen.

Fazit: Der Hebel und die Zukunft liegt im (sanierten) Bestand

Die Wohnungswirtschaft steht vor einer wichtigen Weichenstellung. Seriell Sanieren statt Abreißen ist mehr als eine ökologische Aufgabe; es ist eine ökonomische und strategische Alternative. Die intelligente Auseinandersetzung mit dem Gebäudebestand, die kreative Umnutzung und die konsequente Verlängerung der Lebensdauer von Immobilien, beispielsweise durch den innovativen Ansatz der seriellen energetischen Sanierung sind zentrale Bausteine für eine klimafreundliche, ressourcenschonende und letztlich auch wirtschaftlich zukunftsfähige Bau- und Wohnungswirtschaft. Es ist an der Zeit, das immense Potenzial unserer Bestandsgebäude voll auszuschöpfen und so aktiv zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.